Axel Pfeiffer during Jamulus online rehearsal © Cantamus Gießen

Wie funktionieren Online-Chorproben ohne Verzögerung?

Chorleiter Axel Pfeiffer teilt seine Erfahrung mit Jamulus

COVID-19

Habt Ihr schon von Jamulus gehört? Eine OpenSource-Software, die ursprünglich für Jamsessions im Internet entwickelt wurde. Im Gegensatz zu anderen Programmen ermöglicht es das Singen in Gruppen online ohne Verzögerungen und mischt die verschiedenen Stimmen zu einem einheitlichen Klang. Perfekt für virtuelle Chorproben – oder?

Wir haben den Gießener Chorleiter Axel Pfeiffer zu seinen Erfahrungen mit Jamulus befragt, denn er nutzt die Softwarebereits mit seinem Chor Cantamus Gießen. Er hat uns einige erhellende Antworten gegeben und endet mit einer klaren Weiterempfehlung – für ganz bestimmte Chöre.

1) Warum habt Ihr Euch dazu entschieden, Eure Online-Chorproben mit Jamulus durchzuführen? Was sind die Vorteile von diesem Programm gegenüber anderen?

Jamulus bietet im Gegensatz zu anderen Programmen, die eigentlich auf die Durchführung von Meetings spezialisiert sind (Zoom, Jitsi usw.) als derzeit wohl einzig gut verwendbares Programm die Möglichkeit, praktisch ohne Latenz gemeinsam zu singen. Zudem kann das Programm kostenfrei genutzt werden. Dazu bedarf es allerdings einiger technischer Voraussetzungen und geeigneter Ausstattung bei den Teilnehmenden. 

2) Habt Ihr lange gebraucht, Euch einzuarbeiten? Wie klappen die Proben aktuell?

Zum Glück ist bei Cantamus Gießen eines unserer Vorstandsmitglieder beruflich im Bereich IT tätig und auch andere Chormitglieder verfügen über weitreichende Kenntnisse in diesem Bereich. Sie haben sich schon einige Wochen mit der Einrichtung und Nutzung des Programms beschäftigt sowie die notwendigen technischen  Voraussetzungen bei den Chormitgliedern in Erfahrung gebracht. So wurde z. B. eigens ein Server dafür eingerichtet, vorab einige Mails mit Informationen geschrieben, Zeitfenster für die Installation angeboten usw..

Nachdem der Aufwand also doch ziemlich groß war, das Ganze zum Laufen zu bringen, wurden wir dafür mit einem regelrechten Glücksgefühl bei der ersten Tutti-Probe (mit 20 Chormitgliedern in Jamulus und noch 10 in Zoom) belohnt. Die Technik hat ohne größere Probleme erstaunlich gut funktioniert und es war nach den Monaten der Proben über Zoom, bei dem sich alle stumm schalten, ein wunderbares Erlebnis, wieder richtig miteinander zu singen, Chorklang zu erleben, sich atmen zu hören, Vokalfarben abzustimmen usw.

3) Welche Schwierigkeiten gab es bei der Einrichtung der Software?

Für die meisten Chormitglieder war die Einrichtung der Software auf ihrem eigenen Computer nicht alleine und nur mit Hilfe unserer "Fachleute" lösbar. Dazu kommt, dass je nach Hardware die Installation manchmal in fünf Minuten funktioniert, in anderen Fällen aber auch mal eineinhalb Stunden gedauert hat (so u. a. ausgerechnet auch beim Laptop des Chorleiters ;-))

4) Einige Eurer Sänger:innen haben parallel per ZOOM der Probe beigewohnt. Warum war das notwendig?

Die Nutzung von Jamulus setzt eine gewisse technische Ausstattung der Teilnehmenden voraus: Neben einem möglichst schnellen Internetzugang, über den man mit Kabel verbunden sein sollte, funktioniert das Programm nur am PC oder Laptop (also nicht wie z. B. bei Zoom über das Handy oder Tablet). Zudem sollte ein qualitativ wenigstens einigermaßen gutes Mikro und ein Kopfhörer (auch gute Handy-Kopfhörer mit Mikro) vorhanden sein. 

Da nicht bei allen Chormitglieder diese technischen Gegebenheiten vorhanden sind (z. B. Altbau mit schlechtem Internet-Zugang), nehmen einige parallel dazu über Zoom an der Probe teil. Diese hören dann den Ton aus der Probe über Jamulus, so dass sie trotzdem ein Gefühl von Chorklang erleben, bei dem sie mitsingen können. Ein paar arbeiten aber auch noch daran oder investieren sogar extra dafür in Hardware, so dass sich Zahl unserer "Jamulisten" sicherlich noch erhöhen wird. 

Leider hat Jamulus den echten Nachteil, dass man sich nur hört und nicht sehen kann. Deshalb haben Einige auch versucht, Jamulus und Zoom gleichzeitig laufen zu lassen. Aber erstens hat man wieder Latenz zwischen Bild und Ton und zweitens sind die meisten Rechner mit der gleichzeitigen Nutzung beider Programme überlastet, so dass dadurch auch bei Jamulus wieder Latenzen entstehen.

5) Wird durch Jamulus „echte Probenarbeit“ möglich? Ist es in Zeiten der Pandemie ein adäquater Ersatz für Chorproben vor Ort?

Ich war selbst sehr erstaunt, dass ohne optischen Kontakt zu den Chormitgliedern (fehlende Führung durch Dirigat) eine echte Probe möglich war. Unsere Chormitglieder haben sich unheimlich schnell darauf eingestellt, sich zu hören und mit Vorzählen oder entsprechender Unterstützung durch mich am Klavier war es nach einer kurzen Zeit kein Problem, Stücke in langsamem und mittelschnellem Tempo zeitgleich zu singen. Wirklich schnelle Stücke haben wir bisher nicht ausprobiert, aber selbst das dürfte mit etwas Eingewöhnung möglich sein. Bei rhythmisch sehr anspruchsvollen Stücken dürfte man dann an gewisse Grenzen stoßen.

Es war eine regelrechte Wohltat, mal wieder am Sound des Chores (Vokalfärbung) arbeiten zu können.

Die Abstimmung der Klangbalance gestaltet sich derzeit noch als etwas schwierig, da durch die doch sehr unterschiedliche Qualität der von den Chormitgliedern eingesetzten Mikros große Lautstärkenunterschiede vorhanden sind. Das lässt sich zwar über das Programm in gewissem Umfang angleichen, ein paar Chormitglieder waren aber trotzdem nur sehr leise hörbar.

6) Für welche Chöre eignet sich das Programm aus Deiner Sicht am besten?

Das Programm eignet sich sicherlich für Chöre, die es gewöhnt sind, einigermaßen selbständig zu singen (jüngere Chöre, Popchöre, Kammerchöre usw.). Bei den Chormitgliedern sollte neben der oben beschrieben technischen Ausstattung vor allem eine gewisse Computer-Kenntnis vorhanden sein. Weiterhin braucht es dann Personen, die sich die Zeit nehmen, die Einrichtung mit den Chormitgliedern vorzunehmen.

Von daher eignet sich das Programm wohl leider weniger für ältere Chöre oder Chöre, bei denen zu wenige Chormitglieder über die technische Ausstattung bzw. Erfahrung bei der Nutzung von Computern verfügen. Das gilt dann leider ganz besonders auch für Kinderchöre.

7) Würdest Du Jamulus anderen Chorleiter:innen weiterempfehlen?

Die Nutzung von Jamulus würde ich auf jeden Fall absolut weiterempfehlen. Wie oben beschrieben hat nach gewissenhafter Einarbeitung und Vorbereitung die Technik sehr gut und zuverlässig funktioniert und uns regelrecht in Begeisterung versetzt. Die Arbeit dafür lohnt also unbedingt.

Allerdings sollte jeder Chorleiter/jede Chorleiterin genau überlegen, ob der eigene Chor wirklich dafür geeignet ist. Ansonsten könnte bei einem Misserfolg auch Frust bei den Chormitgliedern entstehen.

Wir danken Dir für das Gespräch!

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