Sängerin auf der Bühne © Nolte Photography

Was der richtige Gesichtsausdruck beim Singen bedeutet

Wie man mit einem emotionalen Ausdruck eine Verbindung zum Publikum herstellt

Deine Stimme

Eine großartige Gesangsdarbietung ist eine bewegende Erfahrung für die Sinne, die nicht selten freudigen Jubel, tosenden Applaus und stehende Ovationen hervorruft. Chormusik kann die Menschen besonders mitreißen. Hört Euch nur die tobende Menge nach der gefühlvollen Interpretation des Lieds „This Little Light of Mine“ von 100 Voices of Gospel an. Achtet auch auf die begeisterte Reaktion nach der unvergesslichen Interpretation des Radiohead-Hits „Creep“ vom Scala-Chor. Manchmal muss man einen Chor nicht einmal singen hören, um seine Wirkung einschätzen zu können: Initiativen wie „5 Minutes That Will Make You Love Choral Music" [1] der New York Times demonstrieren die Kraft des Chorgesangs in den lebhaften Erinnerungen von Dirigent*innen, Sänger*innen und Schriftsteller*innen an ihre Lieblingsaufführungen.

Wie kann es sein, dass manche Gesangsdarbietungen die Menschen so beeindrucken?

Es ist die Synergie aus verschiedenen Elementen – eine exzellente Tonlage, perfekte Harmonien, präzises Timing und exakter Rhythmus, eine Mischung aus Innovation und Vertrautheit, die sowohl überrascht als auch entzückt. Auch ein Hauch von Professionalität und Glanz gehört dazu. Was eine Choraufführung jedoch wirklich auszeichnet, sind die Emotionen. 

Sängerinnen und Sänger müssen sowohl individuell als auch im Kollektiv eine Leidenschaft für das Singen an den Tag legen, sie sollten jedem Text und jeder Note Gefühl verleihen – und am besten geschieht das durch Mimik.

Der Zusammenhang zwischen Mimik und Gesang

Mit Sicherheit können das jeweilige Chorarrangement und die dazugehörige Instrumentierung die übergreifende Stimmung eines Liedes verdeutlichen. Die Mimik der Chormitglieder kann die Botschaft allerdings erst richtig transportieren.

Die Mimik vermittelt dem Publikum die Intention eines Liedes. Wenn zum Beispiel ein Lied Wut und Düsterkeit vermittelt, kann ein wütender Gesichtsausdruck die Menschen unterschwellig auf die Wut in der Musik aufmerksam machen. Wenn ein Stück im umgekehrten Fall eher fröhlich klingt, können die Sängerinnen und Sänger diese Fröhlichkeit durch ein Lächeln und eine freundlichere Mimik ausdrücken.

Singen mit Ausdruck verbessert auch den Klang einer Darbietung und führt zu einer besseren Tonhöhe, einer nuancierteren Stimmfarbe, einem größeren Stimmumfang und einem einheitlichen Klang [2].

Ohne die richtige Mimik ist die Bedeutung eines Liedes für das Publikum oft unklar.

In einer 2014 im Quarterly Journal of Experimental Psychology [3] veröffentlichten Studie wurde festgestellt, dass der Inhalt der Musik beim Singen die Sängerinnen und Sänger emotional beeinflusst. Die Position ihrer Augenbrauen, Mundwinkel und Kiefer veränderte sich je nach dem, was sie sangen. Diese Mimikwechsel behielten sie während des gesamten Auftritts bei. Die Zuschauer, die sich stumme Videos dieser Sängerinnen und Sänger ansahen, konnten genau erkennen, welche Emotionen vermittelt wurden. Hörten sie sich jedoch nur den Ton an, war die Wahrscheinlichkeit, dass sie dieselben Emotionen korrekt identifizierten, deutlich geringer.

Diese Studie enthält zwei wichtige Erkenntnisse: Erstens ist es unabdingbar, dass die Sängerinnen und Sänger sich mit der Musik, die sie singen, identifizieren und sie verstehen. Dieses Verständnis erzeugt natürlich eine emotionale Reaktion. Zweitens spielen diese emotionalen Reaktionen eine wesentliche Rolle bei der Interpretation der Aufführung durch das Publikum.

Kurz gesagt: Die Mimik ist genauso wichtig wie jeder andere Teil der Choraufführung.

Wie man den persönlichen Ausdruck beim Singen verbessern kann

Da die Mimik in der Musik eine wichtige Rolle spielt, ist es sowohl für die Sängerinnen und Sänger selbst als auch für den*die Chorleiter*in von Bedeutung, sich intensiv mit diesem Aspekt der Performance zu befassen. Die Sängerinnen und Sängern sollten den persönlichen Ausdruck verbessern, während die Dirigent*innen sicherstellen wollen, dass alle Chormitglieder während des gesamten Liedes die gleichen Emotionen zeigen.

Im Folgenden sind einige wirksame Methoden aufgeführt, wie Sängerinnen und Sänger ihre Gefühle beim Singen besser ausdrücken können:

  • Mit der Bedeutung eines Liedes eine emotionale Verbindung herstellen: Die Sängerinnen und Sänger sollten mehr tun, als nur den Liedtext oder die Harmonien zu lernen: Sie sollten die Texte analysieren, ihre Bedeutung entschlüsseln und sicherstellen, dass sie sowohl die Handlung als auch die Intention des Liedes komplett verstehen. Wenn sie die Gefühle nicht gleich nachspüren können, sollten sie ihren Dirigenten um Unterstützung bitten, um diese Erwartung zu erfüllen. Eine Möglichkeit, der Bedeutung eines Liedes auf den Grund zu gehen, liegt darin, den Text einmal nachzusprechen [4]. Anstatt zu singen, sagt man sich den Text einfach laut vor und versucht, jedem Satz die entsprechende Emotion zuzuordnen. Durch diesen zeilenweisen Ansatz könnt Ihr sicher sein, genug Zeit investiert zu haben, um das Material vollständig zu erfassen.
  • Mit Betonung experimentieren: Für die Übertragung der richtigen Emotionen müssen die korrekten Worte in jeder Zeile betont werden. Die Richtung wird vermutlich von Eurem Dirigenten vorgegeben. Es kann allerdings auch ein Vorteil für Euch sein, wenn Ihr Euch selbst damit beschäftigt. Wählt eine Zeile in einem Lied und sprecht sie mehrmals laut vor, wobei Ihr jedes Mal ein anderes Wort betont. Ihr könnt zum Beispiel „This little light of mine“ singen. Danach betont Ihr wie folgt: „This little light of mine.“ So fahrt Ihr fort, bis Ihr jedes Wort im Satz betont habt. Auf diese Art findet Ihr heraus, welche Betonungsvariante am natürlichsten klingt und die größte emotionale Wirkung übermittelt.
  • Vor dem Spiegel üben: Ohne Frage sind Chorproben ein notwendiges Element bei der Vorbereitung auf eine Choraufführung.  Auch für Sängerinnen und Sänger ist es von Vorteil, wenn sie ihre Lieder selbständig vor einem Spiegel proben. So können sie ihre natürliche Mimik betrachten, sie verbessern und sicherstellen, dass ihre Gesichtsausdrücke echt wirken.

Chorleiter*innen können allen Sängerinnen und Sängern ebenfalls dabei helfen, die gleichen Gefühle zu zeigen:

  • Die Musik imitieren: Als Chorleiter*in kann man die Emotionen eines Stücks am besten durch Körperbewegungen transportieren [5]. Benutzt Eure Augen, Eure Hände und Euren gesamten Körper, um dem Chor die Emotionslage mitzuteilen. Ihr könnt beispielsweise mit geschlossenen Augen die Friedlichkeit eines Liedes unterstreichen oder auf verträumte, beruhigende Passagen hinweisen.
  • Unterstützende Gespräche: Sprecht mit dem Chor direkt über das individuelle Musikverständnis [6]. Auch wenn der Text eines Liedes recht eindeutig zu sein scheint, besteht immer Raum für Interpretationen. Nehmt Euch genug Zeit, die Fragen des Chors zu beantworten und eventuelle Unklarheiten aus dem Weg zu räumen. Eventuell müsst Ihr den historischen Kontext, die Sichtweise oder den Subtext klären.
  • Emotionen in die Aufwärmübungen einbeziehen: Fokussiert Euch beim Aufwärmen auf die Grundlagen, die Sängerinnen und Sänger benötigen, um Emotionen angemessen darzubieten. Übt einen hellen und warmen Gesang [7], starke Diktion und gebt Atemunterstützung. Wenn Sängerinnen und Sänger über eine solide Grunderfahrung verfügen, können sie sich bei ihren Aufführungen auf ihre Mimik verlassen.
  • Der emotionalen Form auf der Spur: Die meisten Lieder drücken eine Mischung von Emotionen aus. Ihr könnt Sängerinnen und Sängern konkret dabei helfen, diese Höhen und Tiefen zu identifizieren, indem Ihr gemeinsam die emotionale Form eines Liedes nachvollzieht [8]. Benennt die entscheidenden Passagen und findet und vermittelt die entsprechenden Gesangstechniken. An den ruhigeren Stellen eines Liedes können Sängerinnen und Sänger zum Beispiel einen „weinenden“ oder „schluchzenden“ Gesangsstil verwenden, um Zerbrechlichkeit zu demonstrieren.

Die Mimik ist eines der wirkungsvollsten Hilfsmittel, die Chöre einsetzen können, um Darbietungen zu präsentieren, die im Moment mitschwingen und sich im Gedächtnis des Publikums festsetzen. Durch die eigenständige Arbeit und die Zusammenarbeit mit den Chormitgliedern können Dirigent*innen gewährleisten, dass die Emotionen – und damit nicht nur die Gesangstechnik – im Fokus stehen.

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Quellen:

[1] The New York Times. (5. Mai 2021). 5 Minutes That Will make You Love Choral Music. Abgerufen von: https://www.nytimes.com/2021/05/05/arts/music/five-minutes-classical-music-choral.html

[2] Choral Charisma. (2021). Choral Coaching: Your Choir Can Be Expressive. Abgerufen von: https://caricole.com/6-techniques-tricks-sing-emotion-confidence/

[3] Livingstone, Steven R., et al. (2. April 2014). Common cues to emotion in the dynamic facial expressions of speech and song. Abgerufen von: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/17470218.2014.971034

[4] Cole, Cari. (5. Dezember 2017). 6 Techniques & Tricks to Sing With More Emotion and Confidence. Abgerufen von: https://caricole.com/6-techniques-tricks-sing-emotion-confidence/

[5] Garofalo, Robert. J. ad Battisti, Frank L. (Juni 2009). Rehearsing Music: Nonverbal Cues, Body Language, and Facial Expression. Abgerufen von: https://www.musicum.net/conducting.pdf

[6] Total Choir Ressources. (2021). Top tips to help your choir connect with the meaning of a song. Abgerufen von: https://www.totalchoirresources.com/top-tips-help-choir-connect-meaning-song/

[7] Schmidt, Katrina. (28. April 2019). What Is Bright and Warm Singing? Abgerufen von: https://www.liveabout.com/bright-and-warm-singing-2994193

[8] Helping You Harmonise. (12. September 2019). Tracing Emotional Shape with Affinity Show Choir. Abgerufen von: http://www.helpingyouharmonise.com/affinitysep19

 

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