Screenshot aus der Eröffnungsshow der Virtual Choir Games 2020

Die Coronakrise und ihre Auswirkungen auf die Chorwelt

2020 hat die (Chor-) Welt verändert wie nie zuvor

Internationale Chorszene

Um die Jahreswende 2019/2020 erreichten die ersten Nachrichten über das neuartige Corona-Virus die Welt. Vor allem China, aber auch zahlreiche andere Länder, befanden sich in einer schwierigen Situation und der Alltag kam zum Erliegen. Das Virus breitete sich weiter aus und täglich wurden neue Infektionen gemeldet.

Die chinesische Stadt Wuhan war zu Beginn des Jahres am stärksten betroffen. Doch die rasante Ausbreitung von Covid-19 führte bald dazu, dass sich die ganze Welt mit der Pandemie und allen damit verbundenen Herausforderungen auseinandersetzen musste. Diese weltumspannende Krise hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die Menschheit und auf die Chorwelt im Besonderen. Wir alle mussten Abstand halten – und doch sind wir näher zusammengerückt, auch über Ländergrenzen hinweg!

Und es wurde still...

Die Pandemie brachte das öffentliche und private Leben zum Erliegen. Vielerorts wurde der Ausnahmezustand ausgerufen und eine Ausgangssperre verhängt. Geschäfte, Restaurants und Kultureinrichtungen mussten schließen, Schulen und Arbeitsstätten wurden nach Hause verlegt.

Dieses Leben auf Distanz traf die Chöre dieser Welt besonders hart. Konzerte, Festivals und sogar Chorproben mussten abgesagt oder verschoben werden, Bühnen blieben stumm. In den meisten Ländern ist das Chorleben völlig zum Erliegen gekommen und viele Chöre und Chorleiter haben ihre finanzielle Unterstützung und Perspektive verloren. Li Peizhi, Präsident des chinesischen Chorverbandes, beschrieb das Gefühl dieser drastischen Beeinträchtigungen des Alltagslebens in einem Interview als einen "Zug, der abrupt zum Stehen kommt".

In allen Bereichen des Lebens und auch in der Chorarbeit gewannen die technischen Möglichkeiten unserer Zeit und die globale Vernetzung mit Hilfe des Internets von einem Moment auf den anderen eine völlig neue Relevanz und Bedeutung. Die Chöre rund um den Globus ließen sich nicht beirren und entwickelten neue Ideen, um weiterhin ihre Leidenschaft für die Chormusik auszuleben, gemeinsam mit ihren Mitsänger*innen ihre Chorgemeinschaft zu pflegen, positiv zu bleiben und neue Wege in der Probenarbeit zu gehen - und die Stille der Chorwelt hielt nicht lange an. 

...aber nicht für lange

Tim Sharp, ein Mitglied des Beratungsgremiums des World Choir Council, schrieb in einem Interview, dass "Singen nicht nur dem Zuhörer etwas gibt, sondern auch dem*der einzelnen Sänger*in. Singen verlangt von uns, dass wir unseren Körper benutzen und verbindet uns direkt mit unserem Gefühlsleben. Jeder einzelne Aspekt des Gesangsprozesses ist körperlich. Und während die Erfahrung des Singens höchst individuell ist, verbindet und harmonisiert das Singen im Chor diese individuellen Klänge zu einer Gemeinschaft."

Musik ist eine mächtige, Mut machende Kraft, die Menschen miteinander verbindet und den Geist beflügelt. An vielen Orten auf der Welt wurde gerade zu Beginn der Pandemie gemeinsam musiziert. Nachbarschaften sangen gemeinsam auf ihren Balkonen, an ihren Fenstern oder auf der Straße und wuchsen enger zusammen. Diese Gemeinschaft in der Ferne, diese Gemeinschaft in Musik und Gesang, hat vielen Menschen Hoffnung gegeben. 

Die Chöre waren in ihrer Arbeit besonders eingeschränkt und konnten sich nur virtuell treffen. Aber sie wurden kreativ und nutzten die neuen Technologien: Chorproben online, Unterricht zu Hause im Wohnzimmer, virtuelle Chorprojekte, Videopremieren statt Aufführungen in Konzertsälen. Neben all diesen kreativen Projekten und neuen Ansätzen in der Chorarbeit hat diese Zeit der besonderen Herausforderungen die Chorgemeinschaft auch näher zusammenrücken lassen. 

Die (Chor-)Welt ist näher zusammengerückt

Natürlich können all diese Ansätze und die virtuellen Chorprojekte die Gemeinschaft eines Chores und das Erlebnis eines Live-Auftritts nicht ersetzen, aber sie haben den Sänger*innen dieser Welt Zuversicht gegeben. Es wurden neue Wege ausprobiert, um weiter gemeinsam zu lernen und weiter gemeinsam zu singen. Mit Hilfe von Workshops, Online-Tutorials oder dem direkten Austausch in sozialen Netzwerken oder Foren halfen und unterstützten sich Chöre und Chorleiter*innen gegenseitig. 

Dem INTERKULTUR-Motto "Singing together brings nations together" folgend, haben viele Chöre diese Projekte und Kooperationen auch genutzt, um sich virtuell mit anderen Chören aus allen Teilen der Welt zu treffen. 

Die neuen Möglichkeiten der Technologien wurden ausgiebig genutzt und zu einem beliebten Werkzeug, um kreative Selbstisolation zu überwinden, was sich auch auf den Probenprozess auswirkte. Auch wenn synchrones Singen und Chorproben in großen Gruppen technisch nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich sind, stellen die digitalen Anwendungen eine gute Möglichkeit dar, soziale Kontakte und Gemeinschaft zu pflegen. 

Li Peizhi, Präsident des Chinesischen Chorverbands, sagte in einem Interview: "Ich denke, dass die Menschen und vor allem die Musiker*innen ihre Fähigkeit und Energie nutzen, um ihre Gefühle und Gedanken auszudrücken und zu übermitteln. [Die] Projekte sind wunderbar, weil die Botschaft, die sie aussenden, durchweg positiv ist und den Menschen die große Kraft der Musik bewusst gemacht hat."

Diese Verbundenheit und Solidarität, die die Chorwelt in den letzten Monaten, wenn auch nur virtuell, zusammengeführt hat, wird uns hoffentlich auch in Zukunft begleiten und wir sollten sie weiterhin schätzen. Wie wird die neue Normalität aussehen nach der Pandemie?

Die Fragen, die sich jetzt zu Beginn des neuen Jahres stellen, da die Impfungen weltweit beginnen und (hoffentlich) das Ende der Krise in Sicht ist: Was sind die Lehren, die wir aus dieser Krise ziehen? Welche Auswirkungen werden diese Erfahrungen auf die Chorwelt haben und wie wird sich die Chorarbeit verändern?

Die russische Chorlegende Vladimir Minin kommentierte dies in einem Interview: "Digitale Technologien sind ein vorübergehendes Mittel, ein Ausweg, ein Instrument zum Informationsaustausch – mehr aber nicht. Keine Technologie kann die lebendige Energie des Chores vermitteln, und die subtilen Feinheiten der Bewegung seiner kollektiven Seele."

Li Peizhi sieht das ähnlich: "Diese neuen Formen des Singens und der Online-Vorträge sind derzeit auf der ganzen Welt sehr beliebt. Ich persönlich denke, dass dies eine besondere Gegenmaßnahme in einer besonderen Zeit ist, um das starke Verlangen nach Gesang zu befriedigen. Chorgesang ist eine fantastische Möglichkeit für Menschen, Emotionen zu kommunizieren, aber das erfordert Kontakt und Zeit zum Proben. Daher ist es unerlässlich, dass wir das künstlerische Engagement erleben, das in tatsächlichen Proben stattfindet, um die volle Schönheit und den ganzen Charme der Chorkunst zu entfalten."

Tim Sharp hofft, "diese Werkzeuge nutzen zu können, wenn wir wieder zusammen singen. Ich glaube fest daran, dass wir aus dieser Zeit gestärkt hervorgehen werden und auch gelernt haben werden, wie wir mit neuen Werkzeugen lehren und kommunizieren können, die für die Ausbildung in der Chormusik, die Aufführung, Komposition und Vertretung unserer Interessen geeignet sind."

Digitale Technologien sind gute und wertvolle Werkzeuge für die heutige Zeit und sie werden die Chorarbeit in Zukunft sicherlich in bestimmten Bereichen bereichern können. Allerdings ist auch für die Chorwelt klar, dass das Virtuelle nicht die neue Normalität sein wird. Was fehlt, ist der zwischenmenschliche Aspekt, die Dynamik, die unmittelbare Kommunikation mit den Mitsänger*innen - die Essenz des gemeinsamen Singens, die wir alle schmerzlich vermissen. 

Wir wissen nicht, wie die Zukunft aussehen wird, aber wir sind zuversichtlich, dass sie schön und vor allem voller Gesang sein wird!

(von Franziska Hellwig)

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