Probe des Begegnungschors © Begegnungschor Berlin

Erfolgreiche Integration durch den Chorgesang

Chorleiter Bastian Holze über die Arbeit mit Geflüchteten und Berlinern im Begegnungschor

Internationale Chorszene

1. Was steckt hinter der Idee, einen Chor mit Sängerinnen und Sängern aus Deutschland und Geflüchteten aus den Krisengebieten der Welt gründen? Worin sahen Sie bei der Gründung das Potential, dass dieses Projekt so positiv angenommen und erfolgreich werden würde? 

Die Initiative des Chores kam aus der Zusammenarbeit des Vereins Leadership e.V. mit dem Chorverband Berlin. Diese traten dann an mich und meinen Kollegen Michael Betzner-Brandt heran, diesen Chor zu gründen.

In der aktuellen Situation in Deutschland liegt es nahe, den Geflüchteten hier eine Möglichkeit zu bieten, anzukommen und sich hier willkommen zu fühlen. Es gibt zahlreiche Modelle und Versuche, die jedoch meist darauf aufbauen, dass Alt-Berliner und Neu-Berliner, wie wir im Begegnungschor zu sagen pflegen, miteinander reden. Oft treffen hierbei jedoch Sprachbarrieren und auch Persönlichkeiten aufeinander, die selbst ohne Sprachbarriere nicht immer ein geeignetes Gesprächsthema finden würden.

Das Singen im Chor bietet hier für beide Seiten ein sehr niederschwelliges Angebot. Die Teilnehmer sind nicht gezwungen miteinander zu reden. Sie erleben gemeinsam Musik und diese hilft als Sprache untereinander. Nach einer 2-stündigen Probe haben alle Beteiligten die gleichen emotionalen Erlebnisse, die sie als Gruppe miteinander verbinden. Man erfreut sich an gemeinsamen Momenten und findet auch ohne Sprache zueinander.

Und dennoch gibt es eine Verbindung unter den Mitgliedern, die über diese anonyme Begegnung hinausgeht. Der Begegnungschor funktioniert nach dem Tandemprinzip, sodass jeder Alt-Berliner, der beim Begegnungschor mitsingen will, einen Neu-Berliner als Tandempartner mitbringen muss. Dieses Prinzip gilt natürlich auch andersrum. Auf diese Weise gewährleisten wir ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Kulturen und finden eine Möglichkeit, eben auch an diejenigen heranzutreten, deren Sprachbarrieren es möglicherweise verhindern, dass sie über mediale Kontakte von uns hören.

2. Letzten Herbst stand der Chor zum ersten Mal auf der Bühne – ein großer Erfolg, wie man sehen und hören konnte. Was hat sich seitdem getan?

Im ersten Jahr des Bestehens hat sich die Anzahl der SängerInnen im Chor deutlich vergrößert. Wir proben mittlerweile mit bis zu 80 Leuten. Das sind fast doppelt so viele wie am Anfang. Auch die Musikauswahl ist seitdem vielfältiger geworden. Wir haben regelmäßige Repertoiretreffen, und lassen die Chorsänger Lieder aus ihren Kulturen vorschlagen, sodass wir mittlerweile in unterschiedlichsten Sprachen und Stilrichtungen singen, was allen Mitgliedern großen Spaß macht.

In diesem Jahr wurde auch erkennbar, wie sehr der Chor trotz der großen Anzahl der Mitglieder miteinander zusammen wächst. Es sind unter anderem durch gemeinsame Auftritte oder Fahrten (wie z.B. zum Deutschen Chorfest nach Stuttgart) mittlerweile intensive Freundschaften entstanden und selbst in unserer Sommerpause traf sich der Chor wöchentlich, um gemeinsam Aktivitäten zu unternehmen.

3. Viele der Geflüchteten kommen aus Ländern, in denen keine Chortradition besteht oder Singen gar verboten ist. Sie selbst kommen vom Fach und sind als Chorleiter bestens geschult, was schräge Töne angeht. Wie schätzen Sie das Niveau des Chores ein und wie gestaltet sich die musikalische Arbeit mit den Chorsängerinnen und -sängern aus der Ferne?

Die musikalischen Fähigkeiten der einzelnen Mitglieder stellen keine Aufnahmebarriere beim Begegnungschor da. Dadurch hat man natürlich sehr unterschiedliche Vorerfahrungen in der Gruppe. Es ist immer wieder spannend, diese miteinander zu vereinen. In meinen über 15 Jahren Berufserfahrung als Chorleiter stand ich bisher meist vor deutlich homogeneren Gruppen. Aber auch ich lerne durch diesen Chor viel dazu. Ich wusste beispielsweise nicht, dass mehrstimmiger Gesang in der Heimat vieler unserer geflüchteten MitsängerInnen einfach gar nicht existiert. Wir mussten also auch diesen Schritt erst einmal erarbeiten. Einige unserer Neu-Berliner haben sehr gute musikalische Vorbildungen, sind aber mit einzelnen Rhythmen unserer Kultur so wenig vertraut, dass sich diese dann als Herausforderung zeigen.

Für mich ist es auch heute noch eine Herausforderung, das ein oder andere arabische Stück rauszuhören und als Noten zu notieren, da sich die harmonischen Strukturen von denen der westlichen Musik schon in vielerlei Hinsicht unterscheiden.

Die Texte der Lieder und deren Aussprache nehmen einen großen zeitlichen Raum der Probe in Anspruch. Sowohl die deutschen, aber auch die englischen, arabischen, kurdischen und sämtlichen anderen Texte der Lieder werden zunächst von einem Muttersprachler vorgesprochen und der Chor wiederholt sie Stück für Stück. Hierbei entstehen häufig sehr lustige Situationen, weil es entweder ungewohnt klingt oder falsch ausgesprochen möglicherweise etwas völlig anderes ausdrückt.

Und trotz all dieser Herausforderungen kann ich sagen, dass die musikalische Qualität des Begegnungschores im ersten Jahr des Bestehens eindeutig gestiegen ist und wir mittlerweile zahlreiche mehrstimmige Lieder singen können.

4. Gibt es eine hohe Fluktuation unter den beteiligten Sängerinnen und Sängern? Viele von ihnen leben ja in ständiger Angst vor Abschiebung bzw. wollen oder müssen Deutschland auch aus anderen Gründen schnell wieder verlassen. Wie gehen Sie als Chorleiter mit einer ständig wechselnden Besetzung um?

Die Fluktuation in einer solchen Gruppierung ist tatsächlich ein großer Faktor. Die oben erwähnten 80 Mitglieder sind das Maximum der bisherigen Probenbeteiligung und sie kommt auch immer wieder mal vor. Dennoch gibt es auch Proben mit nur 40-50 Singenden. Hinzu kommt eben auch der in Ihrer Frage erwähnte Aspekt, dass einige Geflüchtete die Stadt verlassen müssen oder terminliche Vorgaben haben, die es ihnen nicht mehr ermöglichen, am Chor teilzunehmen. Es hat sich jedoch ein fester Kern herausgearbeitet, der sowohl aus Neu-Berlinern als auch aus Alt-Berlinern besteht und der eigentlich regelmäßig bei den Proben erscheint. Neu hinzu kommende SängerInnen werden von diesen stabilen und sicheren Stimmen mitgezogen und lernen somit schnell, was im Chor schon erarbeitet wurde.

Ein weiteres Instrument, welches sich als sehr hilfreich erwiesen hat, ist die Tatsache, dass wir unsere Noten nicht als Kopie verteilen, sondern die Texte und Noten immer per Beamer im Großformat an die Wand projizieren. Auf diese Weise hat jeder neue Sänger sofort Zugang zu allem Material und ich kann während der Probe anzeigen, an welcher Stelle des Liedes wir uns gerade befinden.

5. Helfen Musikprojekte dieser Art, Integration in Deutschland und in anderen Ländern erfolgreich voranzubringen? Welche Funktion hat Musik generell in Bezug auf Integration?

Durch die bereits geschilderten Erfahrungen kann ich nur positive Rückmeldung auf diese Frage geben. Musik löst Emotionen aus und setzt nicht voraus, dass man dieselbe Sprache spricht. Zudem sagt Musik auch viel über die Kultur aus und man lernt dadurch auch Vieles voneinander. Das ursprünglich Fremde wird auf einmal vertraut und man kann es genießen.

Musik existiert weltweit in allen Kulturen und hilft Emotionen auszudrücken, wenn Worte nicht ausreichen. Der ständige Auf- und Abbau von Spannungen in der Musik ist für jedes Chormitglied spürbar.

Im Begegnungschor hat sich mittlerweile auch eine dazugehörige Band etabliert, die unter anderem aus geflüchteten Interessenten besteht, die in ihrer alten Heimat ein Instrument spielten. Wenn sie nach Probenende beginnen einfach loszuspielen, geschieht es nicht selten, dass die Chormitglieder anfangen miteinander zu tanzen und gegenseitig voneinander Tänze und Gebräuche erlernen.

6. Welche nächsten Schritte und Ziele planen Sie für den Begegnungschor?

Das erste Jahr war sehr turbulent und wir haben schon viele tolle gemeinsame Auftritte gehabt. Der Chor stand schon auf der Bühne des Kammermusiksaals der Berliner Philharmonie, war schon mehrfach im Roten Rathaus zu sehen, reiste zum Deutschen Chorfest nach Stuttgart und sang eben auch schon für die europäische Kommission sowie beim Bürgerfest des Bundespräsidenten in Berlin. Es zeichnet sich also ab, dass hier noch vielerlei große Projekte folgen werden.

Ich bin sehr glücklich über die bisherige Entwicklung dieser Gruppe. Obwohl die Begegnung der Kulturen natürlich der erste offensichtliche Aspekt dieses Chores ist, wächst die musikalische Qualität kontinuierlich. Und das trotz der bestehenden recht hohen Fluktuation. Der musikalische Anspruch rückt dadurch nicht in den Hintergrund und wird sich auch weiterhin steigern.

7. Hat der Begegnungschor bereits Nachahmer in anderen Städten gefunden? Und was würden Sie sich persönlich für die Zukunft für Musikprojekte im Bereich der Integrationsarbeit wünschen?

Ja, wir werden häufig kontaktiert, ob wir Tipps und Tricks weitergeben würden an Chorleiter, die ähnliche Projekte ins Leben rufen wollen. Diesen Anfragen treten wir immer sehr offen entgegen. Ich persönlich freue mich, wenn man es schafft, Menschen zum Singen zu begeistern und dadurch gemeinsam Vorurteile abzulegen. Genau aus diesem Grund wird der Begegnungschor nun im Dezember auch einen 3-tägigen Workshop anbieten, in dem gezeigt wird, was man als Chorleiter, Initiator oder Sänger beim Aufbau eines Flüchtlingschores beachten kann. Die Erfahrungen des Begegnungschores werden geteilt und wir freuen uns natürlich, wenn aus dieser Idee mehr als nur ein einzelner Chor in Berlin wird.

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